Kapitel 16
Mehrelektronenatome

Bisher haben wir uns vorwiegend mit der quantenmechanischen Beschreibung des einfachsten Atoms, des Wasserstoffatoms, beschäftigt und teilweise diese Betrachtungen auf andere Systeme, in denen ein einzelnes Elektron um einen positiven Kern kreist, erweitert. In diesem Kapitel widmen wir uns nun Atomen mit mehreren Elektronen. Eine exakte Lösung der Schrödinger-Gleichung ist zwar für das Heliumatom (zwei Elektronen) unter gewissen Annahmen möglich, jedoch für Atome mit mehr als zwei Elektronen aussichtslos. Es existieren aber diverse Näherungslösungen bzw. daraus abgeleitete angenäherte Modelle für Mehrelektronenatome. Wir beschäftigen uns hier mit einem der einfachsten Modelle, dem Schalenmodell, welches sich direkt aus der Verallgemeinerung der Resultate des Wasserstoffatoms ergibt.

Als erstes befassen wir uns mit der Wellenfunktion von Mehrelektronenatomen. In diesem Zusammenhang formulieren wir das vierte Postulat der Quantenmechanik und gehen auf die sogenannte Austauschsymmetrie ein. Anschliessend folgt das Pauli-Prinzip und die Klassifizierung von Teilchen (Elementarteilchen, Atome, Moleküle, ...) in Fermionen und Bosonen. Ausgehend von diesen Gesetzen befassen wir uns dann mit dem Aufbau von Mehrelektronenatomen. Wir betrachten die Besetzung der elektronischen Zustände, die Berechnung von Gesamtbahndrehimpuls, Gesamtspin und Gesamtdrehimpuls, sowie die Bestimmung des Grundzustands aufgrund der sogenannten Hundschen Regeln.

16.1 Die Wellenfunktion von Mehrelektronenatomen

16.1.1 Das vierte Postulat der Quantenmechanik

Für die Wellenfunktion ψ  von nichtwechselwirkenden Teilchen, beispielsweise für ein Mehrelektronenatom, gilt das folgende Postulat:

Postulat 4 Die Wellenfunktion ψ (1,2,3,...,n )  eines Systems aus n  nicht-unterscheidbaren, nicht-wechselwirkenden Teilchen wird durch ein (Tensor-) Produkt der Wellenfunktionen ψ(i)  der einzelnen Teilchen beschrieben

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16.1.2 Die Austauschsymmetrie

Die sogenannte Austauschsymmetrie präzisiert die Eigenschaften der Mehrteilchenwellenfunktion (16.1) bzgl. der Vertauschung von Teilchen bzw. ihrer Indizes.

Illustration der Austauschsymmetrie an einem Zweielektronensystem ohne Spin

Wir betrachten zwei Elektronen (ohne Spin) am Ort ⃗r1 = (x1,y1,z1)  und ⃗r2 = (x2,y2,z2)  , die sich im Coulomb-Feld eines Atomkerns der Ladung + Ze  bewegen (siehe Abb. 16.1).


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Abb. 16.1: Zwei Elektronen am Ort ⃗r1 = (x1,y1,z1)  und ⃗r2 = (x2,y2,z2)  im Coulomb-Feld eines sich im Ursprung des Koordinatensystems befindenden Atomkerns der Ladung + Ze  .


Der Kern wird als fest betrachtet und befindet sich im Ursprung des Koordinatensystems. Die potentielle Energie der Elektronen setzt sich zusammen aus der potentiellen Energie V1(⃗r1)  und V2 (⃗r2)  im Coulomb-Feld des Atomkerns

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und der potentiellen Energie V12(⃗r1 - ⃗r2)  der Coulomb-Wechselwirkung zwischen den beiden Elektronen

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Die kinetische Energie E (k1)in   und E (k2)in   der beiden Elektronen ist gegeben durch

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Demzufolge lautet die Hamilton-Funktion H  für das Zweielektronensystem

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Der entsprechende Hamilton-Operator ˆ
H  ist gegeben durch

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Dieser Hamilton-Operator ˆH  wirkt auf die Wellenfunktion ψ (⃗r1,⃗r2,t)  , welche den Zustand des Zweiteilchensystems beschreibt, wobei |ψ (⃗r1,⃗r2,t)|2   die Wahrscheinlichkeit ist, das Elektron 1 zur Zeit t  im Volumenelement dV1 = dx1dy1dz1   am Ort ⃗r1   und gleichzeitig das Elektron 2 im Volumenelement dV =  dx dy dz
  2     2  2  2   am Ort ⃗r2 anzutreffen. Da die potentielle Energie V1(⃗r1)+ V2(⃗r2)+ V12(⃗r1 - ⃗r2)  die Zeit t  nicht explizit enthält, existieren stationäre Zustände, d.h. es gilt

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wobei u(⃗r1,⃗r2)  Lösung der zeitunabhängigen Schrödinger-Gleichung

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ist. Das Lösen dieser Gleichung ist erheblich erschwert durch den Wechselwirkungsterm V  (⃗r - ⃗r )
 12  1   2  . Aus diesem Grund ist auch das Postulat 4 nicht anwendbar, da die beiden Elektronen nicht unabhängig voneinander sind. Wir werden hier diese Wechselwirkung vernachlässigen. In dieser Näherung ist dann der Hamilton-Operator als Summe zweier unabhängiger Hamilton-Operatoren darstellbar. Jedes Elektron hat dann seine eigene Schrödinger-Gleichung mit den Lösungen ua(⃗r1)  bzw. ub (⃗r2)

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Die Gesamtwellenfunktion u(⃗r1,⃗r2)  lässt sich dann in Übereinstimmung mit Postulat 4 als Produkt der beiden Funktionen ua(⃗r1)  und ub(⃗r2)  schreiben und gehört zum Energiewert E = Ea + Eb   . ua(⃗r1)  und ub(⃗r2)  sind dabei gegeben durch die Eigenfunktionen un,l,ml (r,ϑ,φ )  des Wasserstoffatoms.

Jedoch folgt aus der Unschärferelation, dass man die Bewegung eines Elektrons nicht genau verfolgen kann. Als Konsequenz ergibt sich daraus, dass man die beiden Elektronen im betrachteten Atom nicht auseinanderhalten bzw. unterscheiden kann. Das hat zur Folge, dass sich bei der Vertauschung der beiden Elektronen, repräsentiert durch die Vertauschung der beiden Indizes 1 und 2, die Wahrscheinlichkeitsdichte          2
|u(⃗r1,⃗r2)|   nicht ändern darf. Dies ist die Forderung der Austauschsymmetrie.

Die Produktwellenfunktion ua (⃗r1)ub(⃗r2)  erfüllt diese Forderung nicht, denn ua(⃗r2)ub(⃗r1)  ist nicht die selbe Funktion wie ua(⃗r1)ub (⃗r2)  , es sei denn die Quantenzahlen na  , la  , mla  stimmen paarweise mit den Quantenzahlen nb  , lb  , mlb  überein. Andererseits ist in der Näherung V12(⃗r1 - ⃗r2) = 0  die Produktwellenfunktion u (⃗r )u (⃗r)
 a  2  b  1  mit vertauschten Indizes 1 und 2 auch eine Eigenfunktion des Hamilton-Operators  ˆ
H  zum selben Eigenwert E =  Ea + Eb   . Diese Tatsache können wir zur Konstruktion von Eigenfunktion ausnützen, welche die Austauschsymmetrie erfüllen und den Zustand des Zweielektronensystems beschreiben, indem wir Linearkombinationen von ua(⃗r1)ub(⃗r2)  und ua(⃗r2)ub(⃗r1)  bilden. Diese sind nach Satz 9.4 wiederum Eigenfunktionen von ˆH  zum selben Eigenwert E = Ea + Eb   . Es ergeben sich dann die beiden folgenden normierten Linearkombinationen der Produktwellenfunktionen ua(⃗r1)ub(⃗r2)  und ua(⃗r2)ub(⃗r1)  , welche der Forderung der Austauschsymmetrie genügen

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wobei die symmetrische Linearkombination uS(⃗r1,⃗r2)  bei der Vertauschung der beiden Indizes 1 und 2 unverändert bleibt und die antisymmetrische Linearkombination uA (⃗r1,⃗r2)  nur das Vorzeichen wechselt. Demzufolge bleiben |ψS(⃗r1,⃗r2,t)|2 = |uS(⃗r1,⃗r2)|2   und |ψA (⃗r1,⃗r2,t)|2 = |uA (⃗r1,⃗r2)|2   bei der Vertauschung der Indizes 1 und 2 unverändert und die Forderung der Austauschsymmetrie ist gewährleistet.

Wir weisen an dieser Stelle darauf hin, dass in der Realität aufgrund des Pauli-Prinzips (siehe Abschnitt 16.2) für Elektronen nicht beide Möglichkeiten (16.13) und (16.14), d.h. symmetrische und antisymmetrische Wellenfunktion, zugelassen sind, sondern Elektronen eine antisymmetrische Wellenfunktion haben müssen.

Allgemeine Formulierung der Austauschsymmetrie

Die Forderung der Austauschsymmetrie muss auch im Fall von zwei wechselwirkender Elektronen erfüllt sein, denn diese lassen sich genau so wenig unterscheiden wie unabhängige Elektronen. Allerdings kann man dann nicht mehr mit den im vorangegangen Abschnitt benützten Produktwellenfunktionen operieren. Ebenfalls sind auch noch die Spinkoordinaten σ1   und σ2   in die Wellenfunktion einzubeziehen. Die Gesamtwellenfunktion inkl. Spin muss dann entweder symmetrisch oder antisymmetrisch sein, wenn die Forderung der Austauschsymmetrie erfüllt sein soll bzw. ist, wie erwähnt, für Elektronen (mit Spin) nach dem Pauli-Prinzip (siehe Abschnitt 16.2) nur eine antisymmetrische Gesamtwellenfunktion zugelassen.

Zum Abschluss dieses Abschnitts formulieren wir die Forderung der Austauschsymmetrie allgemein:

Die Wellenfunktion ψ (1,2,...,n)  eines Systems aus n  (wechselwirkenden) Teilchen (Elektronen) erfüllt die Austauschsymmetrie, wenn beim beliebigen Tausch zweier Teilchen (Elektronen) die Wahrscheinlichkeitsdichte |ψ (1,2,...,n)|2   unverändert bleibt.

Es sei bemerkt, dass diese Forderung der Austauschsymmetrie auch in diesem allgemeinen Fall durch die Konstruktion von symmetrischen (bleiben unverändert bei der Vertauschung zweier Teilchen) und antisymmetrischen (ändern das Vorzeichen bei der Vertauschung zweier Teilchen) Wellenfunktionen erfüllt werden kann. Wir weisen zudem darauf hin, dass die Existenz von symmetrischen und antisymmetrischen Wellenfunktionen sich in der Klassifizierung der Teilchen in Fermionen und Bosonen widerspiegelt (siehe Abschnitt 16.3).

16.2 Das Pauli-Prinzip

Wolfgang Pauli formulierte 1925 das berühmte Pauli-Prinzip, auch Paulisches Ausschlussprinzip genannt. Es lautet folgendermassen:

Ein System von Elektronen wird durch eine antisymmetrische Wellenfunktion beschrieben.

Diese allgemeine und abstrakte Formulierung wird anschaulicher, wenn man sie auf das in Abschnitt 16.1.2 betrachtete Beispiel von zwei Elektronen anwendet, deren Wechselwirkung vernachlässigt wird. Nach dem Pauli-Prinzip wird dieses System durch die antisymmetrische Wellenfunktion uA (⃗r1,⃗r2)  beschrieben, welche nach (16.14) gegeben ist durch

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Diese Funktion verschwindet, wenn ua(⃗r)  und ub(⃗r)  die selbe Funktion darstellen, d.h. wenn die vier Quantenzahlen na   , la   , mla   und msa   des einen Elektrons mit den entsprechenden vier Quantenzahlen n
 b   , l
 b   , m
  lb   und m
  sb   des anderen Elektrons übereinstimmen. Dies bedeutet, dass ein solcher Zustand des Zweielektronensystems nicht vorkommt.

Diese Beobachtung lässt sich auf ein System bestehend aus beliebig vielen Elektronen verallgemeinern. Daraus ergibt sich folgende alternative Formulierung des Pauli-Prinzips:

Die Elektronenzustände eines Atoms können mit Elektronen nur so besetzt werden, dass nie zwei oder mehr Elektronen in allen Quantenzahlen übereinstimmen.

Das Pauli-Prinzip in dieser Formulierung werden wir uns bei der Betrachtung des Atomaufbaus von Mehrelektronenatomen (siehe Abschnitt 16.4) zunutze machen.

16.3 Fermionen und Bosonen

Aufgrund von experimentellen Ergebnissen lassen sich im Allgemeinen Teilchen in zwei Sorten unterteilen, Fermionen und Bosonen, die folgendermassen definiert sind:

Definition 16.1 Wir unterscheiden die beiden folgenden Teilchentypen:

Neben den Elementarteilchen1 (Elektronen, Protonen und Neutronen) mit Spin s = 1∕2  existieren viele Atomkerne mit halbzahligem Spin zwischen s = 1∕2  und s = 9∕2  . Die Quantenzahl ms  kann dann jeweils alle halbzahligen Werte zwischen - s  und +  s  annehmen. Ebenfalls gibt es auch einige Atomkerne mit ganzzahligem Spin zwischen s = 0  und s = 6  . Entsprechend kann in diesem Fall die Quantenzahl ms  alle ganzzahligen Werte zwischen - s  und + s  annehmen.

16.4 Der Aufbau von Mehrelektronenatomen

Wir kommen nun zu einer qualitativen Betrachtung des Aufbaus von Mehrelektronenatomen anhand des Schalenmodells. Wie in der Einleitung erwähnt, ergibt sich dieses einfachste Modell direkt aus den Resultaten der Berechnungen zum Wasserstoffatom.

Die Zustände der Elektronen werden ausgehend vom Wasserstoffatommodell durch die vier Quantenzahlen n  , l  , ml  und ms  beschrieben, für die gilt

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Alle Zustände, die zu einer festen Hauptquantenzahl n  gehören, bilden dabei eine Schale, alle Zustände, die zu einer festen Bahndrehimpulsquantenzahl l  gehören, bilden eine Unterschale. In einer Unterschale hat es demzufolge Platz für (2s+ 1)(2l + 1) = 2(2l + 1)  Elektronen und in einer Schale für ∑n -12(2l + 1) = 2n2
  l=0   Elektronen.

Wir kommen nun zur Besetzung der Elektronenzustände und damit der Schalen und Unterschalen von Atomen durch Elektronen. Diese erfolgt nach zwei Prinzipien:

  1. Pauli-Prinzip (siehe Abschnitt 16.2): Die Elektronenzustände eines Atoms können mit Elektronen nur so besetzt werden, dass nie zwei oder mehr Elektronen in allen Quantenzahlen übereinstimmen.
  2. Ein Atom nimmt einen stabilen Zustand ein, wenn seine Gesamtenergie minimal ist.

Für die Angabe der Besetzung der Elektronenzustände und damit zur Charakterisierung des Elektronenzustands eines Atoms verwendet man die folgende Notation: Man gibt die Hauptquantenzahl n  gefolgt von der Bahndrehimpulsquantenzahl l  , bezeichnet durch den zugehörigen Buchstaben, in Klammern an und hochgestellt die Anzahl Elektronen, welche sich in dieser Unterschale befinden. Zum Beispiel gilt für das Natriumatom die Elektronenkonfiguration (1s)2(2s)2(2p)6(3s)1   , d.h. es befinden sich jeweils zwei Elektronen in der 1s  - und 2s  -Unterschale, sechs Elektronen in der 2p  -Unterschale und ein Elektron in der 3s  -Unterschale.

16.4.1 Das Periodensystem der Elemente

Wir betrachten nun ausgehend vom Wasserstoffatom die Atome des Periodensystems (siehe Abb. 7.3), indem wir die Elektronenzustände schrittweise nach den oben genannten Regeln mit Elektronen besetzen.

Bis zu Argon mit der Ordnungszahl 18 (Ende Periode2 III) werden die Zustände der Reihe nach besetzt, d.h. das Füllen der Unterschalen erfolgt in der Reihenfolge 1s  , 2s  , 2p  , 3s  und 3p  (siehe Tab. 16.1).






Ordnungszahl (Z  )SymbolBezeichnungElektronenkonfiguration




    
1 H Wasserstoff (1s)1
2 He Helium (1s)2
    
3 Li Lithium (1s)2(2s)1
4 Be Beryllium (1s)2(2s)2
    
5 B Bor (1s)2(2s)2(2p)1
6 C Kohlenstoff (1s)2(2s)2(2p)2
7 N Stickstoff (1s)2(2s)2(2p)3
8 O Sauerstoff (1s)2(2s)2(2p)4
9 F Fluor (1s)2(2s)2(2p)5
10 Ne Neon (1s)2(2s)2(2p)6
    
11 Na Natrium (1s)2(2s)2(2p)6(3s)1
12 Mg Magnesium (1s)2(2s)2(2p)6(3s)2
    
13 Al Aluminium (1s)2(2s)2(2p)6(3s)2(3p )1
14 Si Silicium (1s)2(2s)2(2p)6(3s)2(3p )2
15 P Phosphor (1s)2(2s)2(2p)6(3s)2(3p )3
16 S Schwefel (1s)2(2s)2(2p)6(3s)2(3p )4
17 Cl Chlor (1s)2(2s)2(2p)6(3s)2(3p )5
18 Ar Argon (1s)2(2s)2(2p)6(3s)2(3p )6




    

Tab. 16.1: Die Elektronenkonfigurationen der Atome mit Ordnungszahlen 1 - 18 des Periodensystems.

Anschliessend erfolgt eine erste Ausnahme. Da die 4s  -Unterschale energetisch tiefer liegt als die 3d  -Unterschale, werden die nächsten beiden Elektronen in der 4s  -Unterschale untergebracht (Kalium und Calcium). Es folgt dann mit kleinen Ausnahmen die Besetzung der 3d  -Unterschale mit zehn weiteren Elektronen (Scandium bis Zink). Damit sind alle Zustände mit n = 3  besetzt und die nächsten sechs Elektronen finden in der 4p  -Unterschale Platz (Gallium bis Krypton). Somit ist die IV. Periode abgeschlossen.

Die V. Periode wird analog zur IV. Periode mit Elektronen gefüllt: Zwei Elektronen finden in der 5s  -Unterschale (Rubidium und Strontium) Platz, mit kleinen Ausnahmen zehn Elektronen in der 4d  -Unterschale (Yttrium bis Cadmium) und sechs Elektronen in der 5p  -Unterschale (Indium bis Xenon).

Zum Start der VI. Periode werden zwei Elektronen in der 6s  -Unterschale platziert (Cäsium und Barium). Dann folgen mit kleinen Ausnahmen vierzehn Elektronen in der 4f  -Unterschale (Lanthan bis Ytterbium) und zehn Elektronen in der 5d  -Unterschale (Lutetium bis Quecksilber) und zum Abschluss der VI. Periode sechs Elektronen in der 6p  -Unterschale (Thallium bis Radon).

Die Besetzung der Elektronenzustände in der VII. und damit letzten Periode erfolgt nach dem selben Muster wie bei der VI. Periode. Die 7s  -Unterschale wird mit zwei Elektronen gefüllt (Francium und Radium), die 5f  -Unterschale mit vierzehn (Actinium bis Lawrencium), die 6d  -Unterschale mit zehn (Rutherfordium bis Copernicium) und die 7p  -Unterschale mit sechs (Ununtrium bis Ununoctium).

Für einige Gruppen von Atomen existieren in der Literatur spezielle Namen, die wir hier kurz auflisten:

Allgemein bestimmen die äussersten Elektronen die chemischen Eigenschaften eines Atoms. Aus diesem Grund haben Atome, welche in der selben Gruppe des Periodensystems positioniert sind, ähnliche chemische Eigenschaften. Auf die Eigenschaften der Atome der ersten und letzten Gruppe gehen wir hier beispielhaft ein.

Die Alkali-Atome

Die Alkali-Atome Lithium bis Francium befinden sich in der ersten Gruppe des Periodensystems und besitzen ein Elektron in der äussersten Schale. Auf das äusserste Elektron wirkt aufgrund der Abschirmung der anderen Elektronen eine reduzierte und relativ geringe Kernladung. Deshalb kann das äusserste Elektron relativ leicht vom Atom getrennt werden. Aus diesem Grund können Alkali-Atome angenähert durch das Wasserstoffatommodell beschrieben werden (siehe Abb. 16.2). Dies zeigt sich auch in Experimenten, die Eigenschaften von Alkali-Atomen sind denen von Wasserstoff sehr ähnlich. Z.B. sind die Atome in dieser Gruppe chemisch sehr reaktiv. Dennoch unterscheiden sich die Alkali-Atome vom Wasserstoffatom in einem wesentlichen Punkt, Wasserstoff ist weder fest noch zeigt er Eigenschaften von Metallen. Dies ist auch der Grund, weshalb Wasserstoff, obwohl es im Periodensystem auch in der ersten Gruppe aufgeführt wird, nicht zu den Alkali-Atomen gezählt wird.


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Abb. 16.2: Illustration der Ähnlichkeit der Alkali-Atome zum Wasserstoffatom am Beispiel von Natrium (Z  = 11  ).


Die Edelgase

Zu den Edelgasen gehören die sieben Atome der achten und letzten Gruppe des Periodensystems, d.h. Helium, Neon, Argon, Krypton, Xenon, Radon und Ununoctium. Sie zeichnen sich alle durch abgeschlossene Unterschalen aus, d.h. alle möglichen Zustände in der jeweiligen Unterschale sind mit Elektronen voll besetzt. Zum Beispiel haben in der s  -Unterschale zwei, in der p  -Unterschale sechs, in der d  -Unterschale zehn und in der f  -Unterschale vierzehn Elektronen Platz. Die Elektronen in einer solchen abgeschlossenen Unterschale sind stark an den Atomkern gebunden, da die Kernladung nur schwach von den Elektronen in niedrigeren Schalen abgeschirmt wird. Aus diesem Grund sind Edelgase im Vergleich zu anderen Atomen chemisch inaktiv. Eine weitere Eigenschaft von abgeschlossenen Unterschalen ist, dass ihr Gesamtbahndrehimpuls ⃗L , ihr Gesamtspin ⃗S  und ihr Gesamtdrehimpuls J⃗  verschwinden (siehe Abschnitt 16.4.2).

16.4.2 Gesamtbahndrehimpuls, Gesamtspin und Gesamtdrehimpuls für Mehrelektronenatome

Bei der Bestimmung des Gesamtbahndrehimpulses, des Gesamtspins und des Gesamtdrehimpulses für ein Mehrelektronenatom unterscheiden wir die beiden Fälle Russell-Saunders-Kopplung und jj  -Kopplung. Im ersten Fall ist die Coulomb-Wechselwirkung viel grösser als die Spin-Bahn-Kopplung und im zweiten Fall ist die Coulomb-Wechselwirkung viel kleiner als die Summe aller Spin-Bahn-Kopplungen der einzelnen Elektronen. Wir gehen nun genauer auf die beiden Fälle ein:

Es sei an dieser Stelle bemerkt, dass in der Realität bei den meisten Atomen eine Mischform zwischen Russell-Saunders- und jj  -Kopplung vorliegt. Zur Veranschaulichung besprechen wir nun die Russell-Saunders-Kopplung für ein Atom mit zwei Elektronen.

Beispiel: Atom mit zwei Elektronen

Wir betrachten ein Atom mit zwei Elektronen, welche durch die Bahndrehimpulsquantenzahlen l1 = 1  und l2 = 2  , sowie die Spinquantenzahlen s1 = s2 = 1∕2  beschrieben werden. Die Gesamtbahndrehimpulsquantenzahl L  kann in diesem Fall die folgenden drei Werte annehmen

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und die Gesamtspinquantenzahl S  die beiden Werte

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Damit ergeben sich für die Gesamtdrehimpulsquantenzahl J  fünf Möglichkeiten

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Spektroskopische Notation

Für die Zustände von Mehrelektronenatomen verwendet man im Vergleich zum Wasserstoffatom eine geringfügig angepasste Notation. In Anlehnung an (14.41) gilt für Mehrelektronenatome:

Ein Zustand eines Mehrelektronenatoms mit Gesamtbahndrehimpulsquantenzahl L  , Gesamtspinquantenzahl S  und Gesamtdrehimpulsquantenzahl J  erhält folgende Bezeichnung

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wobei für L  jeweils der entsprechende Grossbuchstabe S  (L =  0  ), P  (L =  1  ), D  (L = 2  ), ... einzusetzen ist. Bei Atomen mit einem einzigen Elektron in der äussersten Unterschale wird die Hauptquantenzahl n  dieses Elektrons der Bezeichnung vorangestellt.

Es sei bemerkt, dass im Fall L >  S  der vor dem Buchstaben hochgestellte Index (2S + 1)  gerade die Multiplizität des Zustands angibt, d.h. die Zahl der Möglichkeiten den Gesamtbahndrehimpuls ⃗
L  und den Gesamtspin ⃗
S  zum Gesamtdrehimpuls ⃗J  zu kombinieren. Dabei werden die zu den drei Werten S  = 0, 1/2, 1 der Gesamtspinquantenzahl zugehörenden Zustände mit Namen versehen:

Im Fall S <  L  ist die Multiplizität gegeben durch 2L + 1  .

Zum Abschluss dieses Abschnitts geben wir als Beispiel die Notation für das Natriumatom an. Nach Tab. 16.1 hat Natrium elf Elektronen mit einer Elektronenkonfiguration (1s)2(2s)2(2p)6(3s)1   . Die drei Unterschalen 1s  , 2s  und 2p  sind abgeschlossen und haben daher verschwindende Quantenzahlen L  , S  und J  . Daher genügt es das äusserste Elektron, welches sich im Zustand n = 3  , l = 0  und s = 1∕2  befindet, zu betrachten. Demzufolge gilt für das Natriumatom L = 0  , S = 1∕2  und J = 1∕2  und damit die Bezeichnung  2
3 S1∕2   , wobei wir die Hauptquantenzahl n = 3  des Zustands des äussersten Elektrons der Bezeichnung vorangestellt haben.

16.4.3 Hundsche Regeln

Wir haben bisher die Elektronenkonfigurationen der einzelnen Atome kennengelernt, welche die Atome in ihrem Grundzustand einnehmen (siehe Abschnitt 16.4.1). Jedoch wissen wir noch nicht welchen Zustand 2S+1LJ  das Atom genau einnimmt. Insbesondere die Besetzung von nicht abgeschlossenen Schalen ist noch zu klären.

Eine Antwort liefern die Hundschen Regeln, die nach dem Physiker Friedrich Hund benannt sind und auf empirischen Resultaten beruhen. Sie geben an, welche Werte die Quantenzahlen L  , S  und J  für ein Atom im Grundzustand annehmen. Sie lauten folgendermassen:

Hundsche Regeln

Im Grundzustand besetzen die Elektronen eines Atoms unter Berücksichtigung des Pauli-Prinzips die Zustände nach den folgenden Regeln:

  1. Die Gesamtspinquantenzahl S  nimmt den maximal möglichen Wert an.
  2. Unter den Zuständen mit maximaler Gesamtspinquantenzahl S  , liegt derjenige mit maximaler Gesamtbahndrehimpulsquantenzahl L  energetisch am tiefsten.
  3. Unter den Zuständen mit maximaler Gesamtspinquantenzahl S  und maximaler Gesamtbahndrehimpulsquantenzahl L  bildet bei weniger als halbgefüllten Schalen der Zustand mit J = |L - S| (minimales J  ) den Grundzustand, sonst der Zustand mit J =  L+  S  (maximales J  ).

Es sei bemerkt, dass manchmal auch die in Abschnitt 16.4.1 im Rahmen der Behandlung der Edelgase angesprochene Regel, dass für abgeschlossene Unterschalen L = S = J = 0  ist, als weitere Hundsche Regel aufgeführt wird.

Wir geben hier eine kurze Motivation der beiden ersten Regeln an und verweisen für genauere Ausführungen auf weiterführende Literatur (z.B. [11]). Dazu benützen wir die am Anfang des Abschnitts 16.4 aufgeführte Regel, dass ein Atom dann einen stabilen Zustand einnimmt, wenn seine Gesamtenergie minimal ist:

  1. Aus der ersten Hundschen Regel folgt, dass die Zustände einer Unterschale (feste Quantenzahlen n  und l  ) zunächst mit ungepaarten Elektronen derselben Spinquantenzahl ms  , d.h. mit paralleler Spinausrichtung, besetzt werden (maximiert Gesamtspinquantenzahl S  ). Solche Elektronen mit derselben Spinquantenzahl ms  haben aufgrund des Pauli-Prinzips unterschiedliche Quantenzahlen ml  und daher einen maximalen räumlichen Abstand. Dies hat eine minimale Coulomb-Wechselwirkung (Abstossung) zwischen den Elektronen zur Folge. Daher liegt der Zustand mit maximaler Gesamtspinquantenzahl S  energetisch am tiefsten und wird von den Elektronen des Atoms im Grundzustand eingenommen.
  2. Aus der zweiten Hundschen Regel folgt unter Berücksichtigung des Pauli-Prinzips für die Besetzung der Zustände einer Unterschale (feste Quantenzahlen n  und l  ), dass neben der Bevorzugung paralleler Spins, zuerst der Zustand mit maximalem m
 l  besetzt wird, anschliessend der Zustand mit ml - 1  , usw. (maximiert Gesamtbahndrehimpulsquantenzahl L  ). Aufgrund dieser Besetzung sind die Elektronen so weit wir möglich vom Zentrum und dadurch auch voneinander entfernt. Dies hat wiederum eine minimale Coulomb-Wechselwirkung (Abstossung) zwischen den Elektronen zur Folge. Der Effekt ist jedoch geringer als bei den Spins. Daher liegt unter den Zuständen mit maximaler Gesamtspinquantenzahl S  der Zustand mit maximaler Gesamtbahndrehimpulsquantenzahl L  energetisch am tiefsten und wird von den Elektronen des Atoms im Grundzustand eingenommen.

In Tab. 16.2 sind anhand der genauen Elektronenbesetzung für die Atome Bor bis Neon diese beiden Punkte illustriert4.







Name Elektronenkonfiguration
Besetzung der p  -Unterschale
ml = 1  ml = 0  ml =  - 1





     
Bor (1s)2(2s)2(2p)1   ↑
Kohlenstoff(1s)2(2s)2(2p)2   ↑ ↑
Stickstoff (1s)2(2s)2(2p)3   ↑ ↑ ↑
Sauerstoff (1s)2(2s)2(2p)4   ↑↓ ↑ ↑
Fluor (1s)2(2s)2(2p)5   ↑↓ ↑↓ ↑
Neon (1s)2(2s)2(2p)6   ↑↓ ↑↓ ↑↓





     

Tab. 16.2: Die Besetzung der p  -Unterschale am Beispiel der Atome Bor bis Neon nach den Hundschen Regeln 1 und 2. ↑ steht dabei für ein Elektron im „spin-up“-Zustand (ms = 1∕2  ) und ↓ für ein Elektron im „spin-down“-Zustand (ms = - 1∕2  ).

Beispiele

Wir illustrieren die Hundschen Regeln an den Atomen Wasserstoff bis Neon (siehe Tab. 16.3), wobei wir die Elemente Wasserstoff, Helium, Bor, Kohlenstoff und Stickstoff genauer besprechen:







Name S  L  J  (n) 2S+1L
         J





     
Wasserstoff1/2 0 1/2 12S
   1∕2
Helium 0 0 0 1
 S0
Lithium 1/2 0 1/2 22S
   1∕2
Beryllium 0 0 0 1
 S0
Bor 1/2 1 1/2 22P
    1∕2
Kohlenstoff 1 1 0 3
 P0
Stickstoff 3/2 0 3/2 4
 S3∕2
Sauerstoff 1 1 2 3
 P2
Fluor 1/2 1 3/2 2
 P3∕2
Neon 0 0 0 1
 S0





     

Tab. 16.3: Die drei Quantenzahlen S  , L  und J  und die spektroskopische Notation     2S+1
(n)     LJ  des Grundzustands für die Atome Wasserstoff bis Neon nach den Hundschen Regeln.

16.5 Zusammenfassung