Kapitel 4
Der Impuls des Photons

Wir haben bisher erste Teilcheneigenschaften von Licht kennengelernt, indem wir die Quantisierung der Energie des Lichts betrachtet haben. Wir untersuchen nun Situationen, in denen man nachweisen kann, dass Licht auch einen Impuls trägt oder, anders ausgedrückt, dass Photonen ebenfalls einen Impuls besitzen.

In Abschnitt 4.1 werden wir als erstes eine (klassische) Berechnung durchführen, die zeigt, dass eine elektromagnetische Welle bei der Reflexion an einem Spiegel einen Druck, den sogenannten Strahlungsdruck, auf diesen ausübt. Dies wird uns einen ersten Hinweis auf den Impuls von Photonen geben. Der historische Weg zum Ausdruck für den Impuls des Photons führte jedoch nicht über diese Berechnung, sondern über ein von Arthur Holly Compton um 1922 durchgeführtes Experiment. Auf den von ihm beobachteten Effekt, den sogenannten Compton-Effekt, gehen wir dann anschliessend im Abschnitt 4.2 ein. Die Beobachtung des Compton-Effekts lieferte den ersten experimentellen Nachweis des Impulses eines Photons.

4.1 Der Strahlungsdruck

Wir berechnen den Strahlungsdruck, der eine elektromagnetische Welle bei der Absorption an einer ebenen Platte auf diese ausübt (siehe Abb. 4.1).


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Abb. 4.1: Grafische Darstellung einer elektromagnetischen Welle mit elektrischer Feldstärke  ⃗
E  und magnetischer Flussdichte ⃗
B  deren Wechselwirkung mit den Elektronen einer leitenden Platte zu einer Kraft Fz   führt.


Eine elektromagnetische ebene Welle mit elektrischer Feldstärke E⃗  und magnetischer Flussdichte ⃗B

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trifft bei z = 0  auf eine Platte. Als erstes berechnen wir den Impulsübertrag von der elektromagnetischen Welle auf ein Elektron im absorbierenden Material.

Auf das Elektron in der Platte wirkt eine elektrische Kraft

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Neben dieser Kraft erfährt das Elektron eine Dämpfung im Material, welche durch die sogenannte Beweglichkeit oder Mobilität μe   charakterisiert wird. Im Gleichgewicht zwischen ⃗FE   und Dämpfung ist die sogenannte Driftgeschwindigkeit ⃗vD mit der sich die Elektronen durch das Material bewegen beschrieben durch die folgende Gleichung

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Wir nehmen nun an, dass die Zeit, in der dieses Gleichgewicht hergestellt wird, viel kürzer ist als die Periode mit der die elektromagnetische Feldstärke oszilliert. Wir erhalten unter dieser Annahme für die Elektronen im Mittel einen Betrag der Driftgeschwindigkeit von

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mit der sich das Elektron entlang der negativen y-Richtung bewegt. Diese Mittelung bzw. Vernachlässigung der Feldstärkeoszillationen behalten wir für die nachfolgenden Berechnungen bei. Demzufolge sind alle nachfolgenden Grössen unter dieser Mittelung zu betrachten. Einfachheitshalber werden wir den Mittelungsstrich jeweils weglassen.

Neben der elektrischen Kraft wirkt auch eine magnetische Kraft, die von der magnetischen Flussdichte herrührt, auf das Elektron

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Das Elektron spürt also eine zusätzliche Kraft entlang der positiven z-Richtung (vy < 0
 D  ). Dieser Term ist für den Strahlungsdruck verantwortlich. Mit (4.5) und der Beziehung B = E ∕c  erhalten wir daraus

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Mit der Beziehung

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zwischen einer Kraft ⃗F  und dem Impuls ⃗p  ergibt sich folgende Gleichung

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Für die Arbeit pro Zeiteinheit dW ∕dt  , die vom elektrischen Feld am Elektron geleistet wird, erhalten wir mit (4.9)

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Integration liefert schliesslich für den Impulsübertrag pz   einer elektromagnetischen Welle auf ein Elektron der ebenen Platte

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d.h. bei der Absorption einer elektromagnetischen Welle in einem Material, wird auf dieses ein Impuls übertragen. Die Grösse des Impulsübertrags ist bestimmt durch die Arbeit W  , die von der elektromagnetischen Welle am Material verrichtet wird und durch die Lichtgeschwindigkeit c  .

Betrachtet man anstelle von Absorption in der Platte den Fall der Reflexion der Strahlung, so ergibt sich einen zusätzlichen Impulsübertrag des gleichen Betrags auf die interagierende Fläche, d.h. bei der Reflexion an einem Spiegel ergibt sich eine Impulsübertrag  z
pR   von:

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In den letzten Kapiteln haben wir gesehen, dass wir Licht als Strom von Teilchen (Photonen) betrachten können. Wenn man den Impulsübertrag bei der Reflexion einer elektromagnetischen Welle an einem Spiegel mit dieser Vorstellung von Photonen interpretieren will, muss man annehmen, dass diese einen Impuls haben und wie Teilchen elastisch vom Spiegel reflektiert werden. In diesem Fall wechselt die Komponente des Photonenimpulses, die senkrecht zum Spiegel steht, ihr Vorzeichen und überträgt dabei doppelt so viel Impuls wie bei der Absorption.

Den Impuls eines Photons pν  erhalten wir aus der Energie W  einer elektromagnetischen Welle, die einem ganzzahligen Vielfachen der Energie Eν = hν  eines Photons entspricht

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Einsetzen in (4.12) liefert

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Somit erhalten wir folgendes Resultat

Ein Photon besitzt den Impuls

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Zwischen Impuls pν  und Energie Eν  des Photons gilt der folgende Zusammenhang

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Zum Abschluss dieser Betrachtungen kommen wir nochmals auf den Begriff des Strahlungsdrucks zurück und geben eine Formel für diesen an. Wir betrachten den Fall der Absorption. Den Strahlungsdruck p  , der auf die Spiegelfläche A  wirkt, können wir folgendermassen ausdrücken

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wobei I  der Strahlungsintensität entspricht, die vom Spiegel absorbiert wird.

4.2 Der Compton-Effekt

Wie zu Beginn erwähnt, führte der historische Weg zum Ausdruck für den Impuls eines Photons nicht über die in Abschnitt 4.1 durchgeführte Berechnung, sondern über ein Experiment, welches Compton um etwa 1922 durchführte1.

4.2.1 Das Experiment von Compton

Compton liess die Strahlung einer Röntgen-Röhre mit einer Molybdän-Anode (siehe Abschnitt 3.2.1) direkt auf ein Stück Graphit2 fallen (siehe Abb. 4.2). Anschliessend analysierte er das Spektrum der unter einem Winkel von   o
90   gestreuten Strahlung mit einem Bragg-Spektrometer (siehe Abschnitt 3.5) und verglich es mit dem Spektrum der einfallenden Strahlung. Als Spektrometerkristall verwendete er Kalzit (CaCO3   ) und als Detektor eine Ionisationskammer3.


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Abb. 4.2: Aufbau zur Messung des Compton-Effekts bestehend aus einer Röntgen-Röhre als Photonenquelle und einem Bragg-Spektrometer zur Detektion des gestreuten Spektrums.


In Abb. 4.3 ist das Messergebnis des historischen Experiments von Compton dargestellt, welches 1923 im Phyiscal Review publiziert wurde. Die gestrichelte Linie zeigt das gemessene Spektrum von Molybdän. Die durchgezogene Linie zeigt, das Spektrum von Molybdän nachdem es unter einem Winkel von 90o   an Graphit gestreut wurde.


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Abb. 4.3: Direkt gemessenes Bragg-Spektrum einer Röntgen-Röhre (gestrichelte Linie) und nach der Streuung an Graphit (durchgezogene Linie). Originaldaten von Compton von 1922 publiziert 1923 [3].


Man erkennt das kontinuierliche Bremsspektrum und die beiden dominanten Spektrallinien K α  und Kβ  . Die beiden Spektren stimmen von der Form her im Wesentlichen überein. Jedoch ergibt sich das folgende wesentliche Ergebnis: Das Spektrum der gestreuten Strahlung ist gegenüber dem Spektrum der direkten (ungestreuten) Strahlung zu längeren Wellenlängen verschoben. Diese Wellenlängenverschiebung wird Compton-Verschiebung genannt.

Was Compton beobachtete, konnte also - im Gegensatz zur Streuung, die der Bragg-Reflexion am Spektrometerkristall zugrunde liegt - nicht kohärente Streuung sein. Offensichtlich gibt es noch andere Streuprozesse.

Compton interpretierte das Messresultat wie folgt:

Ein einfallendes Photon mit der Energie hν  und dem Impuls hν∕c  stösst elastisch mit einem Elektron des Streukörpers zusammen. Dabei verliert es einen Teil seiner Energie und seines Impulses. Die Impulse und Energien der betrachteten Teilchen lassen sich durch Betrachtung der Energie- und Impulserhaltung das Gesamtsystems bestimmen.

Bevor wir uns mit der Berechnung dieser Wellenlängenverschiebung (Compton-Verschiebung) befassen, betrachten wir zuerst noch ein weiteres moderneres Experiment zum Compton-Effekt, bei dem deutlich grössere Verschiebungen der Wellenlängen beobachtet werden können.

4.2.2 Compton-Effekt mit Gammastrahlung

Als Quelle dient in diesem Experiment (siehe Abb. 4.4) eine 137   Cs-Quelle. Die ausgesendeten hochenergetischen Photonen (Gammastrahlen), die bei einem radioaktiven Zerfall entstehen, werden auf einen dünnen Kupfer-Stab gerichtet, wo ein Teil der Photonen an Elektronen elastisch gestreut wird. Die unter einem Winkel φ  gestreuten Photonen werden mit einem Szintillationszähler bestehend aus einem NaI-Kristall mit nachfolgendem Photomultiplier4 energieaufgelöst nachgewiesen.


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Abb. 4.4: Versuchsanordnung zur Messung des Compton-Effekts mit Gammastrahlung aus einer 137   Cs-Quelle. Als Detektor dient ein Szintillationszähler.


Das Resultat der Messung ist in Abb. 4.5 in einem sogenannten Polardiagramm dargestellt. Jedem Streuwinkel φ  ist das Verhältnis zwischen der Photonenenergie beim entsprechenden Streuwinkel hν ′ und der Photonenenergie der direkten Strahlung hν  durch den jeweiligen Abstand der Messkurve zum Nullpunkt zugeordnet.


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Abb. 4.5: Verhältnis der gestreuten Photonenenergie zur einfallenden Energie in Abhängigkeit vom Streuwinkel dargestellt in einem Polardiagramm.


Das erhaltene Resultat bestätigt das Ergebnis der historischen Messung (siehe Abschnitt 4.2.1): Die Frequenz (Wellenlänge) der gestreuten Strahlung ist gegenüber der direkten Strahlung verschoben. Eine weitere Erkenntnis ist, dass das Maximum des unter φ = 0  gemessenen Spektrums bei der gleichen Frequenz (Wellenlänge) auftritt wie das Maximum beim Spektrum der direkten Strahlung.

Verfeinerte Experimente zeigen, dass im Streuspektrum nicht nur bei der verschobenen Wellenlänge   ′
λ ein Maximum zu beobachten ist, sondern auch bei der Wellenlänge λ  der direkten Strahlung. Auf die Erklärung dieser Beobachtung und die Berechnung der Compton-Verschiebung gehen wir im nächsten Abschnitt genauer ein.

4.2.3 Berechnung der Compton-Verschiebung

Zur Berechnung der Compton-Verschiebung gehen wir von Comptons Interpretation (siehe Abschnitt 4.2.1) aus. Ein einfallendes Photon mit der Energie hν  und dem Impuls hν∕c  stösst elastisch mit einem Elektron des Streukörpers zusammen (siehe Abb. 4.6). Dabei gilt für das Gesamtsystem aus Photon und Elektron Energie- und Impulserhaltung. Wir nehmen an, dass das vom Photon angestossene Elektron ungebunden ist und ursprünglich in Ruhe war. Dies ist in guter Näherung in einem Metall erfüllt, da die Leitungselektronen im Vergleich zur Energie der einfallenden Photonen nur schwach gebunden sind und einen kleinen Impuls tragen.


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Abb. 4.6: Diagramm zur Energie- und Impulserhaltung beim Compton-Effekt.


Aus der Energieerhaltung ergibt sich

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Aus der Impulserhaltung erhalten wir

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mit

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Aus (4.18) erhalten wir durch Quadrieren

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Division durch c2   ergibt

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Aus (4.19) erhalten wir

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wobei φ  den Winkel zwischen ⃗p  und ⃗p ′ bezeichnet.

Gleichsetzen von (4.22) und (4.23) ergibt

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Kürzen und Einsetzen von (4.20) liefert nach einigen Umformungen für die Compton-Verschiebung

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Bemerkungen:

4.2.4 Compton-Streuung und kohärente Streuung

Wie im Abschnitt 4.2.2 erwähnt, beobachtet man bei verfeinerten Experimenten im Streuspektrum ein Maximum nicht nur bei der verschobenen Wellenlänge  ′
λ , sondern auch bei der Wellenlänge λ  der direkten Strahlung. D.h. es findet neben der Compton-Streuung auch kohärente Streuung statt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Elektronen im Streukörper unterschiedlich stark gebunden sind oder genauer gesagt: Der Streukörper enthält verschiedene Typen von Elektronen:

Ist nun das vom Photon angestossene Elektron so stark an ein Atom gebunden, dass die Energie, die ihm das Photon überträgt, nicht reicht, um es aus dem Atom zu reissen, findet keine Compton-Streuung, sondern im Wesentlichen kohärente Streuung statt. Oder in anderen Worten: Je grösser die Zahl der stark gebundenen Elektronen gegenüber der Zahl der schwach gebundenen Elektronen, desto dominanter die kohärente Streuung gegenüber der Compton-Streuung und umgekehrt.

Genauere Untersuchungen zeigen, dass man für das Verhältnis der Intensität der verschobenen Strahlung (Compton-Streuung) zur Intensität der unverschobenen Strahlung (kohärente Streuung) folgende Regel findet: Das Verhältnis nimmt zu mit

Qualitativ lassen sich diese drei Beobachtungen folgendermassen erklären:

4.2.5 Unterschied zwischen Photoeffekt und Compton-Effekt

Beim Compton-Effekt führt ein Photon einen vollelastischen Stoss mit einem quasifreien Elektron durch. Dabei gibt es einen Teil seiner Energie an das Elektron ab. Das gestreute Photon hat nach dem Stoss eine geringere Energie und damit auch geringere Frequenz als vor dem Stoss. Im Gegensatz dazu gibt beim Photoeffekt (siehe Kapitel 2) ein Photon seine ganze Energie an ein Elektron ab und verschwindet dabei. Der Impuls des Gesamtsystems aus Photon und Elektron kann unter diesen Umständen nicht erhalten bleiben und es muss demzufolge ein dritter Stosspartner (meist ein Atomkern) vorhanden sein, auf den ein Impuls übertragen werden kann. Der Photoeffekt kann nur bei gebundenen Elektronen auftreten.

4.3 Zusammenfassung