In diesem Kapitel befassen wir uns mit dem Einfluss eines externen Magnetfelds auf das Spektrum eines Atoms. Wir werden sehen, dass infolge dieser Beeinflussung die Entartung der Energieniveaus teilweise aufgehoben wird und als Folge davon die einzelnen Spektrallinien in mehrere Linien aufgespaltet werden. Dieser Effekt wird nach seinem Entdecker Pieter Zeeman Zeeman-Effekt genannt. 1902 erhielt er für diese Entdeckung gemeinsam mit Hendrik Antoon Lorentz den Nobelpreis in Physik.
Wir beginnen mit ein paar historischen Bemerkungen zur Entdeckung des Zeeman-Effekts. Anschliessend beschränken wir uns auf das Wasserstoffatom und betrachten ein semiklassisches Modell zur Beschreibung des Effekts, gefolgt von einer quantenmechanischen Behandlung. Am Ende des Kapitels steht die Zusammenfassung der Resultate und die Betrachtung des Zeeman-Effekts für das Spektrum des Wasserstoffatoms.
Im Jahr 1862, also 25 Jahre vor der Entdeckung des Elektrons, untersuchte Michael Faraday in einem Experiment1 die folgende Frage: Welchen Einfluss hat ein äusseres Magnetfeld auf das Linienspektrum, das von Gasflammen, die durch Alkali- und andere Salze gefärbt werden, emittiert wird? Das Auflösungsvermögen seines einfachen Prismenspektroskops genügte jedoch nicht, um einen Effekt zu finden.
Erst 1896 wurde das Experiment von Faraday von Zeeman wieder aufgegriffen. Mit seiner Messapparatur konnte er eine Verbreiterung der Spektrallinien nachweisen, die er folgendermassen deutete: Durch das äussere Magnetfeld kommt es zur Aufspaltung der einzelnen Linien in mehrere. Er war zudem in der Lage die Grössenordnung dieser Aufspaltung anzugeben.
Im selben Jahr2
gab Lorentz eine Interpretation der Zeeman Aufspaltung. Er nahm an, dass in
Atomen Teilchen der Ladung und der Masse
sich auf einer Kreisbahn mit
einem bestimmten Radius
bewegen. Die Zentripetalbeschleunigung
soll durch eine Zentripetalkraft
(unbekannten Ursprungs) erzeugt werden.
Befindet sich nun dieses Atom in einem homogenen Magnetfeld
, welches
senkrecht zur Bahnrichtung der Ladung
gerichtet ist, so wirkt auf diese die
Lorentz-Kraft
in radialer Richtung nach aussen oder nach innen abhängig
vom Umlaufsinn des Teilchens. Damit dieses auf seiner Bahn bleibt, muss
im ersten Fall die Winkelgeschwindigkeit
verkleinert, im zweiten Fall
vergrössert werden. Der Betrag der Lorentz-Kraft
ist dabei gegeben
durch
Es sei nun die Winkelgeschwindigkeit ohne Magnetfeld und
die
Winkelgeschwindigkeit mit Magnetfeld. Die durch das Magnetfeld bewirkte Änderung
der Winkelgeschwindigkeit ergibt sich durch Gleichsetzen des Betrags
der
Lorentz-Kraft mit der Änderung der Zentripetalkraft
, wobei
in erster
Näherung gegeben ist durch
Gleichsetzen mit (12.1) liefert
woraus wir für die durch das Magnetfeld bewirkte Änderung der
Winkelgeschwindigkeit das folgende Resultat erhalten
Wie wir in den folgenden Abschnitten sehen werden, stimmt dieses Resultat mit dem semiklassischen Modell (siehe Abschnitt 12.2) und auch der rein quantenmechanischen Herleitung (siehe Abschnitt 12.3) überein.
Diese Interpretation des Zeeman-Effekts von Lorentz steht im engen Zusammenhang
mit der Entdeckung, dass das Elektron ein Bestandteil des Atoms ist: Joseph John
Thomson bestimmte 1897 aus der Ablenkung eines Elektronenstrahls im elektrischen
und magnetischen Feld das Verhältnis von Ladung zu Masse. Er verglich sein
Ergebnis mit dem Verhältnis , das sich mit Hilfe der Interpretation
von Lorentz aus der experimentellen Abschätzung der Zeeman-Aufspaltung
ergab und fand innerhalb der damals recht grossen Fehlerschranken
Übereinstimmung. Seit jener Zeit weiss man, dass das Elektron ein Bestandteil des
Atoms ist.
Wie in der Einleitung des Kapitels erwähnt, beschränken wir uns im Folgenden auf die Behandlung des Wasserstoffatoms. Wir beginnen mit einer semiklassischen Behandlung. Dabei gehen wir vom Bohrschen Atommodell (siehe Kapitel 8) aus, indem wir annehmen, dass sich im Wasserstoffatom das negativ geladene Elektron auf einer Kreisbahn um den positiv geladenen Kern bewegt (siehe Abb. 12.1).
Durch dieses kreisende Elektron wird ein Kreisstrom erzeugt, welcher ein
magnetisches Moment
antiparallel zur Flächennormalen
hervorruft
wobei die von der Kreisbahn eingeschlossene Fläche bezeichnet. Der Strom
lässt sich durch die Elektronenladung
und die Umlauffrequenz
ausdrücken
und die Fläche
durch den Bahnradius
. Es ergibt sich
Wir vergleichen diesen Ausdruck für das magnetische Moment mit dem
Bahndrehimpuls
des Elektrons
und erhalten
Das Verhältnis von magnetischem Moment zu Bahndrehimpuls
wird
gyromagnetisches Verhältnis genannt und mit
bezeichnet
Das nächste Ziel ist die potentielle Energie des Elektrons in einem homogenen
externen Magnetfeld
zu bestimmen. Sie ist gegeben durch
wobei den Winkel zwischen magnetischem Moment
und Magnetfeld
bezeichnet. Demzufolge erreicht die potentielle Energie
ihr Minimum für
, d.h. wenn
parallel zu
ausgerichtet ist und ihr Maximum
für
, d.h. wenn
antiparallel zu
ausgerichtet ist. Mit (12.8)
erhalten wir für die potentielle Energie
des Elektrons mit Bahndrehimpuls
Quantenmechanisch (siehe Abschnitt 11.2) ist die z-Komponente des
Bahndrehimpulses
gegeben durch
wobei die magnetische Quantenzahl nur die diskreten Werte
,
,
, ...
annehmen kann. Somit ergibt sich für die potentielle Energie
des
magnetischen Moments des Elektrons im Wasserstoffatom
wobei eV/T das Bohr-Magneton bezeichnet, wir
den Index
eingeführt haben und der obere Index semi andeuten soll,
dass unsere Herleitung semiklassisch erfolgte.
wird Zeeman-Energie
genannt. Damit ergibt sich für die Energiewerte
des Wasserstoffatoms
(siehe Abschnitt 11.2.3) im homogenen externen Magnetfeld
die folgende
Korrektur
wobei die Larmor-Frequenz bezeichnet und wir für die Energiewerte
den zusätzlichen Index
eingeführt haben. Das bedeutet, dass durch ein
homogenes externes Magnetfeld
die durch die magnetische Quantenzahl
bewirkte
-fache Entartung der Energiewerte
aufgehoben wird (siehe
Abb. 12.2).
Die -Niveaus (
,
) werden durch das Magnetfeld nicht beeinflusst.
Die
-Niveaus (
,
,
) werden in drei und die
-Niveaus
(
,
,
,
) in fünf Niveaus mit Abstand
aufgespaltet.
Wir starten mit der allgemeinen Hamilton-Funktion für ein Teilchen der Ladung
und der Masse
im Magnetfeld
(für eine Motivation verweisen wir auf
Anhang J)
wobei das sogenannte Vektorpotential bezeichnet. Mit
erhalten wir
für den entsprechenden Hamilton-Operator
den folgenden Ausdruck
Wir verwenden nun (für die Fortsetzung des Buchs) die sogenannte
Coulomb-Eichung3
und erhalten
Wir kommen nun zum Spezialfall eines Elektrons (Ladung ) im homogenen
Magnetfeld
. Ohne Beschränkung der Allgemeinheit wählen wir
entlang der
z-Achse, d.h.
. Das entsprechende Vektorpotential
können wir
schreiben als
da
Einsetzen von (12.18) in (12.17) liefert für den Hamilton-Operator eines
Elektrons im homogenen Magnetfeld
wobei wir im letzten Schritt benützt haben, dass .
Wir vergleichen die Grössenordnungen der Terme (1) und (2) des Hamilton-Operators
von Elektronen in Atomen. Wir benützen dazu, dass
T,
Js,
C,
kg,
m und
erhalten
Demzufolge können wir Term (2) gegenüber Term (1) für ein Elektron in Atomen
unter dem Einfluss eines homogenen externen Magnetfelds vernachlässigen. Damit
lautet der Hamilton-Operator für das Wasserstoffatom im homogenen externen
Magnetfeld
Nach Abschnitt 11.3 sind die Wellenfunktionen sowohl Eigenfunktionen
des Hamilton-Operators
mit den Eigenwerten
als auch des
Operators
mit den Eigenwerten
. Deshalb gilt
Folglich sind die Energiewerte des Wasserstoffatoms im homogenen externen
Magnetfeld gegeben durch
Dieses Resultat stimmt mit dem semiklassischen Resultat (12.14) überein.
Wir betrachten nun den Effekt eines homogenen externen Magnetfelds auf das
Spektrum des Wasserstoffatoms. Die semiklassische Behandlung (siehe Abschnitt
12.2) und die quantenmechanische Behandlung (siehe Abschnitt 12.3) haben gezeigt,
dass die Existenz eines homogenen externen Magnetfelds die Aufspaltung der
Energieniveaus des Wasserstoffatoms zur Folge hat. Diese Aufspaltung der
Energieniveaus führt zu zusätzlichen Übergängen und damit zu zusätzlichen
Spektrallinien im Spektrum des Wasserstoffatoms. Jedoch ist die Anzahl der
Übergänge durch die sogenannten Auswahlregeln (siehe Abschnitt 15.3) beschränkt.
Diese geben Auskunft, ob ein Übergang zwischen zwei Energieniveaus unter Emission
oder Absorption eines Photons möglich ist oder nicht. Beim Wasserstoffatom lauten
die Auswahlregeln: Der Übergang zwischen zwei Energieniveaus
und
des Wasserstoffatoms unter Emission oder Absorption eines
Photons ist möglich, falls die Unterschiede der entsprechenden Quantenzahlen
,
und
die folgenden Bedingungen
erfüllen
Da der Abstand benachbarter Zeeman-Energieniveaus von den
Quantenzahlen
und
unabhängig ist, spalten sich die Frequenzen der erlaubten
Übergänge durch den Einfluss eines homogenen externen Magnetfelds in drei
Frequenzen auf (siehe Abb. 12.3). Diese drei Frequenzen werden Lorentzsches Triplett
genannt. Ist die Frequenz der Spektrallinie ohne Magnetfeld
, dann sind die
Frequenzen im Lorentzschen Triplett gegeben durch
wie Lorentz schon auf rein klassischem Weg herausfand (siehe Abschnitt 12.1).
Wenn das Lorentzsche Triplett auftritt, dann spricht man vom normalen Zeeman-Effekt. Die Gründe für diese Bezeichnung sind rein historisch. Es sei an dieser Stelle bemerkt, dass der normale Zeeman-Effekt nur ein Spezialfall des sogenannten anomalen Zeeman-Effekts ist, bei dem der Spin des Elektrons (siehe Kapitel 13) mitberücksichtigt wird. Beim Wasserstoffatom ist deshalb in der Realität die Aufspaltung komplizierter und nicht alleine durch den Bahndrehimpuls erklärbar.
wobei die Larmor-Frequenz bezeichnet. Das bedeutet, dass
durch ein homogenes externes Magnetfeld
die durch die magnetische
Quantenzahl
bewirkte
-fache Entartung der Energiewerte
aufgehoben wird.